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Freitag, 28. Januar 2011

Erst kommt das Fressen, dann die Moral

Der seit 30 Jahren regierende „Präsident“ Mubarak, bisher vom Westen protegiert, scheint dasselbe Schicksal zu ereilen, wie seinem Amtskollegen aus Tunesien. Die spekulativ nach oben getriebenen Preise für Lebensmittel scheinen der Genickbruch für autoritäre Regime zu werden.

Zehntausende versammeln sich in diesen Minuten in Kairo und protestieren gegen den Diktator Mubarak, der fälschlicherweise immer noch als Präsident betitelt wird. Der Begriff Präsident ist aus demokratischer Sicht der Mann an der Spitze eines Staates, der sich Wahlen stellt. Dies ist bei Mubarak nicht der Fall, er verzichtet auf grundlegende Prinzipien der Gewaltenteilung, u.a. auf die temporale Gewaltenteilung. Das nun Mohammed el-Baradei aus dem Hut gezaubert wurde, stimmt den geneigten Leser skeptisch. Der el-Baradei, der an der Spitze der Internationalen Atomenergieorganisation eine Speerspitze gegen das iranische Bestreben war, Atommeiler zu bauen. Der el-Baradei, der bei Israel hinsichtlich der Atomsprengköpfe ein Auge zudrückte. Immerhin zweifelte er die Begründungen für den Irak-Krieg 2003 an. 

Er will jetzt demokratische Reformen in Ägypten durchsetzen. Damit wechselt el-Baradei die Fronten, weg vom Vorsitz einer durch den Westen kontrollierten Organisation, die die Doppelmoral in den internationalen Beziehungen auf eine neue Stufe stellt, hin zu dem Land, in dem er geboren wurde. Natürlich ist es begrüßenswert, wenn jemand einem Land Demokratie bringen möchte, fraglich ist hingegen, ob er den demokratischen Deckmantel benutzt, um die Macht in Ägypten zu erlangen oder wahrhaftig demokratische Prinzipien durchsetzen möchte. Ein Prinzip für Demokratie ist, dass das Volk nicht hungern darf, da sonst eine Demokratie nicht überleben kann, selbst Diktaturen tun sich schwer mit einem hungernden und arbeitslosen Volk. Die Triebfeder der Proteste ist nicht der unbändige Wunsch nach Demokratie, sondern das Bedürfnis nach bezahlbarer Nahrung. Wie ein ehemaliger Diplomat wie el-Baradei dieses Grundbedürfnis stillen möchte, dazu findet sich nichts in den Zeitungen, der Fokus wird darauf gelegt, wie renommiert und integer und überhaupt el-Baradei wäre. Mehr als ein „Ich werde die Menschen nicht hängen lassen“ kam noch nicht von ihm, wohl aber gab es Meldungen, wonach er von der ägyptischen Polizei festgesetzt worden wäre. Was für eine Nachricht, ein Mensch, der sich offen gegen das ägyptische Regime stellt, sieht sich tatsächlich Repressalien ausgesetzt. 

Die Gallionsfigur des ägyptischen Protests, zu dem el-Baradei nun geschrieben wird, sollte sich Gedanken für eine Nach-Protest-Ordnung machen, will er sein hohes Ansehen nicht auf Spiel setzen. Sollte es el-Baradei auch nicht gelingen, das ägyptische Volk mit Nahrung und Arbeit zu beruhigen, so wird ihm auch nichts anderes übrig bleiben, als eine autoritäre Politik. Denn wenn Brecht einen wahren Satz geschrieben hat, dann den, dass vor der Moral das Fressen kommt. Internationales Ansehen Hin oder Her. Jedenfalls würde eine neue Regierung mit el-Baradei an der Spitze international anerkannt werden, obschon dies kein Prädikat für gute Regierungsarbeit ist. 

Denn der Westen, mit seinem angeblichen Ziel Demokratie in der Welt zu fördern, vergisst diese Räson immer genau dann, wenn es etwas zu verdienen gibt. Ob nun in Saudi-Arabien, Tunesien, Ägypten oder Afrika, der Westen hat immer schon mit Diktatoren zusammengearbeitet und sich nicht für die Bevölkerung der Länder interessiert. Saudi-Arabien wird übrigens dann von einer Revolutions-Welle heimgesucht werden, wenn die Herrscher-Familie dem Volk eingestehen muss, dass die Petro-Dollar verprasst und der Scheitelpunkt der Glockenkurve der Ölförderung erreicht wurde. Vielleicht können die Völker des Westens inspiriert werden von der blinden Wut und dem Mut der Verzweiflung der ägyptischen Bevölkerung. Zu hoffen bleibt, dass die ägyptische Bevölkerung keinem Blender aufgesessen ist, der Demokratie verspricht und Autorität bringt. Immerhin ist die IAEO keine Institution, die sich in ihrer Geschichte damit hervorgetan hätte, objektiv zu urteilen und sich gegen die Schandtaten des Westens gestellt hätte. Vielleicht ist el-Baradei genau deswegen der perfekte Mann für ein neues Ägypten, ein Ägypten das noch enger an den Westen rückt. Schade nur, dass es auf das falsche Pferd setzt und tatsächlich dem Westen vertraut, einem Westen, der im Begriff ist, seine Probleme nicht länger lösen zu können.

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